Gast-Rezension: Flucht aus Lager 14

2 Mrz

Blaine Harden - Flucht aus Lager 14

Autor: Blaine Harden
Titel: Flucht aus Lager 14
Seitenzahl:
 256
Verlag: DVA
Veröffentlichung: 10.09.2012
Leseprobe

Dieses Buch möchte ich hiermit allen ans Herz legen, die sich für das aktuelle Weltgeschehen interessieren. Flucht aus Lager 14 ist ein wertvoller und informativer Zeugenbericht eines Nordkoreaners über die Existenz der Zwangsarbeiterlager, welchen noch mehr globale Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Das Buch bietet einen guten Einblick in ein Land, welches sich durch eine despotische Regierung, eine katastrophale Wirtschaft und die permanente Missachtung jeglicher Menschenrechte auszeichnet.

Verfasst wurde das Buch von dem amerikanischen Journalisten Blaine Harden, der die Lebensgeschichte des Nordkoreaners Shin Dong-hyuk erzählt.

Zum Inhalt:

Shin Dong-hyuk kam 1982 im Lager 14 zur Welt. Hier wuchs er auf, abgeschottet von der Außenwelt, umgeben von einem Hochspannungszaun und unter strengster Bewachung durch rücksichtlose, gewalttätige Wärter.

Im ersten Teil des Buches wird beschrieben, welche Erfahrungen Shin in seiner Kindheit und im Jugendalter macht und wie der Arbeitsalltag der Häftlinge strukturiert ist. Die Erzählungen werden immer wieder von gut recherchierten Fakten zu den einzelnen Themen, wie bspw. das Lagersystem, die Regierung und das Militär, ergänzt.

Das Zwangsarbeiterlager Nr. 14 ist ein „Bezirk unter absolute Kontrolle“ mit besonders brutalen Arbeitsbedingungen. Hier führen verschiedene Faktoren wie Krankheiten, Hunger und vor allem die schwere Arbeit in den ansässigen Fabriken, Bergwerken oder landwirtschaftlichen Betrieben in der Regel zu einem vorzeitigen Tod der Häftlinge. Ohne, dass jemals eine Anklage oder ein Gerichtsverfahren stattfindet. Nur die Wenigsten werden wieder in die Freiheit entlassen. Die Existenz dieser Arbeitslager nördlich der Hauptstadt Pjöngjang wird von der nordkoreanischen Regierung allerdings dementiert. Doch diese sind mittels Google-Earth innerhalb der zerklüfteten Berge Nordkoreas sehr gut erkennbar. Schätzungsweise 150.000 bis 200.000 Gefangene leben in diesen Lagern, ihre Zahl ist steigend.

Shins Eltern lernten sich im Lager kennen. Beide wurden gefangen genommen, nachdem Angehörige bei ihren Fluchtplänen aus dem Land aufgeflogen waren. „Klassenfeinde müssen ohne Ansehung der Person bis ins dritte Glied ausgemerzt werden“ (Seite 21) lautet das Gesetz von 1958 erlassen von Kim Il Sung, dem Staatsgründer Nordkoreas.

Ein „normales“ Familienleben kennt Shin zu jener Zeit nicht. In seiner Mutter sieht Shin lediglich eine Konkurrentin im täglichen Kampf um ausreichend Essen. Sein Vater schenkt ihm keinerlei Aufmerksamkeit und sein Bruder bleibt ihm nahezu unbekannt. Aufgrund dessen ist ihm die Bedeutung der Wörter „Liebe“, „Mitgefühl“ und „Familie“ völlig unbekannt. Ebenso das Wissen um eine Welt außerhalb des Lagers. Obwohl Shin eine Schule innerhalb des Lagers besucht, werden ihm keinerlei wertvolle bzw. realistische Informationen vermittelt. Sie dient nur dazu, die Kinder mittels Gehirnwäsche zu fleißigen Arbeitersklaven zu machen. Die Gefangenen untereinander befinden sich im ständigen Misstrauen, gegenseitiger Denunziation und Misshandlung. Doch Shin akzeptiert die Werte, Regeln und drakonischen Strafen der Wärter, sie sind sein Zuhause. Die harte Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen gehört zum normalen Alltag der Kinder und Erwachsenen. Um trotz der viel zu kleinen Essensrationen satt zu werden, fingen die Kinder im Lager z.B. Ratten und Mäuse.

Die glücklichsten und befriedigendsten Augenblicke stellten sich ein, wenn er einen vollen Magen hatte.“ (Seite 39)

Eine besonders einprägsame Erfahrung ist für Shin der Tag, an dem seine Mutter und sein Bruder in seinem Beisein ermordet werden. Dieser Vorfall und die Gründe hierfür verfolgen Shin noch heute. Die Hinrichtung von Häftlingen vor den Augen der anderen Häftlinge ist jedoch nichts Ungewöhnliches. Sie werden regelmäßig als Abschreckungs-maßnahme durchgeführt. Unmittelbar vor der Hinrichtung wurde Shin monatelang in einen fensterlosen Kerker gesperrt und auf grausamste Art und Weise gefoltert. In der langen Zeit der Gefangenschaft entkommt Shin oftmals nur knapp dem Tod.

Aus der Perspektive eines ehemaligen Wärters heißt es: die Wärter verschafften den Häftlingen „eine Möglichkeit zur Flucht und erschossen sie, noch bevor sie die Umzäunung des Lagers erreicht hatten. In den meisten Fällen jedoch wurden die Häftlinge geschlagen, manchmal auch erschlagen, einfach weil die Wärter Langeweile oder schlechte Laune hatten.“ (Seite 58)

Im Alter von 23 Jahren gelingt Shin durch großes Glück die Flucht. Und bis heute ist er der Einzige, dem die Flucht aus Lager 14 gelang, da es sich um das am stärksten bewachte Lager handelt.

Erst im Jahr 2004 dachte Shin das erste Mal überhaupt daran, zu fliehen. Ein neuer Häftling, Park Yong Chul, schaffte es, mit seinen Erzählungen von der Welt außerhalb des Lagers Shin zu beeindrucken.

Plötzlich verstand er, wo er war und was ihm fehlte. Das Lager 14 war nicht länger sein Zuhause. Es war ein scheußlicher Käfig.“ (Seite 139)

Die zweite Hälfte des Buches handelt schließlich davon, wie sich Shin in den folgenden Monaten bis nach China und Südkorea durchschlug - und was in den Jahren nach seiner Flucht geschah.

Meinung zum Buch:

Der Erfahrungsbericht hat mich so gefesselt, dass ich gleichzeitig noch weitere Texte zum Thema las und nun mit noch größerem Interesse die Nachrichten aus diesem Land verfolge. Die Schilderungen des jungen Shin Dong-hyuk haben mich sowohl traurig als auch wütend gemacht, während des Lesens schüttelte ich oft den Kopf, schockiert von den zahllosen unfassbaren Vorkommnisse wie Folter und Quälerei, sexuellem Missbrauch und weiteren unmenschlichen Bedingungen  in diesen Arbeitslagern.

Es ist kein Wunder, dass Shin heute, wie er selbst sagt, dem Lager zwar physisch entkommen konnte, aber psychisch noch immer ein Gefangener ist.

Sehr gut finde ich den Anhang, welcher informative Kartenausschnitte zu Nordkorea und Shins nachgezeichneten Fluchtweg enthält. Zusätzlich sind hier die 10 Gesetze des Lagers 14, nach welchen Shin lebte, aufgeführt. Im Innenteil des Buches finden sich zudem einige eindrucksvolle Fotos und Zeichnungen.

Dieses Buch ist einfach ein Muss für jeden, dessen Interesse an der Welt nicht bereits an den eigenen Landesgrenzen endet. Für mich persönlich ist es eines der wichtigsten Bücher, das ich je gelesen habe und es hat mich ein wenig enttäuscht, dass es nicht mehr Beachtung durch die Medien erfahren hat und in meinem Buchhandel nur im hintersten Regal zu finden ist.

Zurück bleibt nun ein Gefühl der Hilflosigkeit und der Wunsch, etwas zu bewegen bzw. dass die internationale Politik diesem Terror endlich ein Ende bereitet. Doch es ist klar, dass sich dies nicht so einfach umsetzen lässt. Der Vorsitzende der Washington Post Company äußerte sich zu diesem Fall folgendermaßen: „Skandalös“ seien nicht nur die Zustände in Nordkorea, sondern auch „die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber der Existenz der Zwangsarbeiterlager in Nordkorea.“

In einem Bericht der Washington Post heißt es außerdem: „In den Highschools in Amerika diskutieren Schüler darüber, warum Präsident Franklin D. Roosevelt die Eisenbahngleise, die in die Vernichtungslager Hitlers führten, nicht bombardieren ließ. Ihre Kinder werden eine Generation später vielleicht fragen, warum der Westen auf die wesentlich schärferen Satellitenfotos von Kim Jong Ils Lager geblickt und nichts dagegen unternommen hat.“

Diana R.

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