[Rezension] Der Märchenerzähler | Antonia Michaelis

23 Sep
Titel: Der Märchenerzähler
Autor: Antonia Michaelis
Seitenzahl: 448 Seiten
Verlag: Oetinger
ISBN: 978-3-8415-0247-6
Veröffentlichung: 01. September 2013
Empfohlenes Lesealter: Ab 14 Jahren
 

In der Schule ist der 17jährige Abel Tannatek besser bekannt als “polnischer Kurzwarenhändler”. Mit anderen Worten: er verkauft Drogen. Zudem schwänzt er auch noch öfters die Schule und gilt als Außenseiter. Doch die ebenfalls 17 Jahre alte Anna lernt schon bald eine andere Seite von Abel kennen und verliebt sich rettungslos in ihn. Er kümmert sich liebevoll um seine kleine Schwester Micha und wirkt bei ihr alles andere als bedrohlich. Vor allem dann, wenn er ihr Märchen erzählt. Und dieses Märchen zieht auch Anna immer mehr in seinen Bann. Doch inwieweit vermischen sich darin die Grenzen zwischen Realität und Fantasie?

Meine Meinung:

Normalerweise tippe ich nach dem Ende eines Buches recht zeitnah zumindest schon mal die ersten Eindrücke ab, damit ich nichts vergesse, was mir wichtig erscheint. Doch dieses Mal, nach “Der Märchenerzähler”, war das einfach nicht möglich. Dafür hatte mich das Buch kopf-  und herztechnisch einfach zu sehr beansprucht. Und auch jetzt, wo bereits einige Stunden und sogar eine ganze Nacht vergangen sind, kann ich meine Gedanken noch immer nicht wirklich ordnen bzw. die richtigen Worte finden. Und ich merke, dass mein Herz schon wieder zu rasen anfängt, meine Augen feucht werden und sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildet…

“Tannatek nickte. Doch Anna ging nicht. Sie stand mitten im Raum, als hielte etwas sie dort fest, und dieser Moment gehörte zu denen, die sie später nicht erklären konnte, sich selbst nicht und auch niemand anderem. Was geschah, geschah einfach.” (Seite 22)

Schon der Anfang hat mich, durch die tolle Schreibweise von Antonia Michaelis und ihre wunderbare Wortwahl, gefesselt. Als es dann jedoch zur ersten Märchenstunde kam, tauchte ich komplett ab. Ich war mit der kleinen Klippenkönigin, die ein diamantenes Herz hat, dem Seelöwen, der auch noch andere Gestalten annehmen kann, und all den anderen, die im Laufe von Abels Märchen noch dazukamen, an Bord des grünen Schiffes mit dem gelben Steuerrad und suchte mit ihnen das Festland… Wer sich jetzt fragt, was ich da für einen Schwachsinn geschrieben habe, sollte möglichst schnell das Buch lesen. :)

Die Autorin hat in diesem Buch eine perfekte Symbiose aus Fiktion und Realität geschaffen, in der die Grenzen so manches mal nicht klar auszumachen sind, und dafür gesorgt, dass erst ein und dann, mit dem weiteren Verlauf, zwei und schließlich immer mehr Fragezeichen auf den Seiten und vor meinem geistigen Augen auftauchten. Und das ist, neben der Geschichte an sich, das besondere an diesem Buch. Als Leser merkt man schnell, wenn man denn aufmerksam liest und seinen Gedanken Freiraum zum Entfalten lässt, dass nicht alles bloß erfunden ist. Warum das aber so ist, warum Abel das Tatsächliche mit dem Ausgedachten kombiniert, bleibt lange Zeit offen. Ebenso wie die Frage, was es mit dem Prolog auf sich hat. Als ich diesen nach der letzten Seite des Buches noch einmal gelesen hatte, schloss sich der Kreis endgültig und ich blieb zurück mit einem Gefühl von… ich kann es nicht benennen.

»Es gibt etwas, das du wissen musst. Dein Herz, kleine Königin … ist kein gewöhnliches Herz. Es ist ein Diamant. Rein und weiß und groß und wertvoll wie kein zweiter. Könnte man dieses Herz aus deiner Brust lösen, würde es so hell funkeln und glitzern wie die Sonne.«
»Aber man kann es nicht aus meiner Brust lösen, nicht wahr?«, fragte die kleine Königin.
»Nein« , antwortete der Seelöwe ernst. »Nicht, solange du lebst.« (Seite 62)

Ich bin verdammt nah am Wasser gebaut, ich bin eine Heulsuse, dass gebe ich offen zu. Mehrere Bücher haben mich bereits zu Tränen gerührt, aus den unterschiedlichsten Gründen. Bei “Der Märchenerzähler” versammelten sich jedoch die unterschiedlichsten Gründe für Tränensturzbäche. Ich glaube, ich habe so ziemlich jede Gefühlsregung, zu der ich fähig bin, während des Lesens durchlebt. Vielleicht sogar ein paar, von denen ich bis dato gar nichts wusste. Ich schwankte, zusammen mit Anna, Abel und Micha, nicht nur zwischen der realen und der erfundenen Welt, sonder auch zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, zwischen Liebe und Wut, zwischen blauem Licht und weißem Rauschen. (Wer das Buch gelesen hat, wird mich verstehen.)

Wenn ich mich jetzt nicht zusammenreiße, schreibe ich weiter und weiter. Doch wäre das denjenigen gegenüber, die das Buch noch nicht gelesen haben (die Betonung liegt hier auf noch), absolut unfair. Denn ich möchte euch die Chance geben, das Buch völlig unvoreingenommen zu erleben. So wie ich auch. Nehmt euch die Zeit, die dieses Buch braucht und verdient hat, macht es euch auf der Couch gemütlich und taucht in diese Geschichte ab. Ich möchte allerdings anmerken, dass die empfohlene Altersangabe ab 14 Jahren, je nach Gemütsbeschaffenheit des jeweiligen Lesers, vielleicht ein wenig zu niedrig angesetzt ist. Ich mit meinen 31 Jahren konnte zumindest an ein, zwei Stellen nicht weiterlesen. Ich hatte regelrecht Angst vor den Worten, die da auf mich warteten.

“Später dachte sie, wenn sie es getan hätte, wenn sie mit ihm gesprochen hätte, an jenem Sonntag – aber wen interessiert schon später? Später ist immer zu spät.” (Seite 157)

Antonia Michaelis hat mit “Der Märchenerzähler” ein Buch geschrieben, das mich komplett, mit all seinen Facetten, eingefangen hat. Ich ärgere mich, dass ich damals, als Buch im Februar 2011 erstmals als Hardcover erschienen ist, nicht schon darauf aufmerksam geworden bin. Ich bin mir sicher, dass ich die Geschichte von Anna und Abel, hätte ich sie damals gelesen, bis heute – zweieinhalb Jahre später – nicht vergessen hätte. Nun liegt diese Zeit des Nichtvergessenkönnens noch vor mir…

5SaFi

14 Antworten to “[Rezension] Der Märchenerzähler | Antonia Michaelis”

  1. Bücherjunkies 23. September 2013 um 10:14 #

    Mir geht es auch oft so, dass mir die Rezis zu Büchern, die mich richtig in ihren Bann gezogen haben, besonders schwer fallen. Irgendwie scheint kein Satz gut genug zu sein. Aber du hast hier eine ganz tolle Rezi geschrieben. Das Buch schlummert auch auf meinem SUB und ich glaube, nun muss ich es ganz bald daraus befreien.

    LG Michaela

    Gefällt mir

    • bookwives 23. September 2013 um 10:22 #

      Vielen Dank, Michaela!

      Ja, Herzensbücher sind so eine Sache bei Rezensionen. Aber “Der Märchenerzähler” geht darüber noch hinaus. Zumindest bei mir… ♡
      Ich kann dir nur raten, das Buch möglichst schnell zu lesen. Und ich bin schon sehr gespannt auf deine Meinung.

      LG, SaFi

      Gefällt mir

  2. 23. September 2013 um 15:07 #

    eine sehr schöne rezension :)
    das buch hörte sich für mich schon eine weile interessant an, aber du hast es jetzt geschafft, dass es auf meiner wunschliste landet ^^
    danke!

    lg

    Gefällt mir

    • bookwives 23. September 2013 um 15:39 #

      Liebe Franny,

      ich habe zu danken. Solche Worte zaubern mir immer ein Lächeln ins Gesicht. :)
      Für die Wunschliste ist das Buch aber definitiv zu schade…

      LG, SaFi

      Gefällt mir

      • 23. September 2013 um 16:52 #

        bitte schön :)

        aber kaufen kann ich es mir im moment nicht, da ich erst noch meine herausforderung ’15 bücher-erst lesen, dann kaufen’ beenden will ^^ muss ja nur noch 9 1/2 bücher lesen ;)
        (aber vielleicht, vielleicht wandert es ja doch auf wundersame weise zu mir in die wohnung ;) )

        Gefällt mir

        • bookwives 23. September 2013 um 17:42 #

          Solche selbstauferlegten Buchkaufverbote bringen bei mir ja mal gar nichts ;) *schäm*

          SaFi

          Gefällt mir

          • 23. September 2013 um 21:10 #

            bei mir funktioniert’s grad super, deshalb zieh ich das solange durch, wie es geht xD
            (hätt ich aber auch nie gedacht ^^)

            Gefällt mir

  3. Textverliebt. 23. September 2013 um 19:20 #

    Um das Buch schleiche ich auch schon eine ganz Weile herum! Du hast es auf jeden Fall geschafft, dass dieses Buch ein ganzes Stück weiter nach oben auf meiner Wunschliste gerutscht ist. :) Man kann deine Begeisterung förmlich spüren! Ganz toll geschrieben!

    Gefällt mir

    • bookwives 23. September 2013 um 19:29 #

      Danke, liebe Katha. ♥

      Und auch dir kann ich nur sagen, dass die Wunschliste der absolut falsche Platz für dieses Buch ist. :)

      LG, SaFi

      Gefällt mir

      • Textverliebt. 23. September 2013 um 19:32 #

        Meine Zeit lässt gerade leider nichts anderes zu. Ich mach schon einen riesigen Bogen um alle möglichen Blogs und Communities. xD

        Gefällt mir

Trackbacks/Pingbacks

  1. Jahresrückblick 2013 | Dein Buchjahr in 30 Fragen | Bookwives - 31. Dezember 2013

    […] Ganz klar “Der Märchenerzähler” von Antonia Michaelis. Das Buch hat mich emotional so stark vereinnahmt, dass ich es tage- […]

    Gefällt mir

  2. [Rezension] Die Worte der weißen Königin | Antonia Michaelis | Bookwives - 3. Januar 2014

    […] “Der Märchenerzähler” war “Die Worte der weißen Königin” mein zweites Buch von Antonia Michaelis. Und ich […]

    Gefällt mir

  3. [Rezension] Friedhofskind | Antonia Michaelis | Bookwives - 11. Februar 2014

    […] “Der Märchenerzähler” und “Die Worte der weißen Königin” war “Friedhofskind” mein drittes Buch […]

    Gefällt mir

  4. Wir freuen uns auf … Neuerscheinungen August 2014 | Bookwives - 17. Juli 2014

    […] sehr ich mich doch auf das neue Buch von Antonia Michaelis freue. ♥ Nach Der Märchenerzähler, Die Worte der weißen Königin und Friedhofskind wird Niemand liebt November das vierte Buch der […]

    Gefällt mir

Kommentare? Immer her damit! :-)

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden / Veränderung )

Folgen

Erhalte jeden neuen Beitrag in deinen Posteingang.

Schließe dich 1.967 Followern an

<
%d Bloggern gefällt das: