{Rezension} Wo ein bisschen Zeit ist… | Emil Ostrovski

28 Aug

Autor: Emil Ostrovski
Titel: Wo ein bisschen Zeit ist…
(OT: The Paradox Of Vertical Flight)
Seitenzahl: 304 Seiten
Verlag: Fischer FJB
ISBN: 978-3841421609
Veröffentlichung: 24. Juli 2014
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„Im Regen verschwimmt die Welt vor dem Restaurant, sie verwandelt sich in ein Trugbild, das sich durch Wind, Wasser und Licht ständig verändert.“ (Seite 5)

Jack Polovksy ist 18 Jahre alt und ein Entführer. Seinen Sohn, der zur Adoption freigegeben wurde, hat er aus dem Krankenhaus entführt. Er kauft ein Auto und macht sich gemeinsam mit seinem besten Freund Tommy und später auch mit Jess, der Mutter des Kindes, auf einen zweitägigen Roadtrip. Jack möchte Sokrates, so nennt er sein Kind, seiner dementen Großmutter vorstellen. Auf dem Weg zu ihr sind sie nicht nur auf der Flucht vor der Polizei, sondern auch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.

„Auch als ich ins Krankenhaus kam, fragte sie nicht, was ich wolle oder wie ich mich fühlte. Bloß: >>Ich gebe ihn zur Adoption frei.<< Zugegeben, anfangs hatte ich ihn nicht haben wollen… Ich wollte ihn nicht haben, doch jetzt ist er da, und er hat meine Nase, meine gottverdammte Nase. Die hat er jetzt, und die wrid er auch noch haben, wenn ich schon tot bin.“ (Seite 41)

Auf dieses Buch habe ich mich riesig gefreut! Zu gut klang für mich der Klappentext, der eigentlich auch schon alles verrät, was in dieser Geschichte passiert.

Das Buch beginnt mit dem Prolog, in dem Jack mit seinem (schon älteren) Sohn in einem Diner sitzt, ihn zu einem Milchshake einlädt und dabei seine Geschichte erzählt. Wie es war, als er geboren wurde und Jack den Roadtrip seines Lebens erlebte.
Dieser hatte nämlich eigentlich vor, sich umzubringen. Facebook sei „dank“. Doch dann erfährt er, dass seine Freundin Jess schwanger ist. Wie das Schicksal es so will, kommt das Kind an Jacks Geburtstag auf die Welt. Das ist doch ein Zeichen, oder?:)
Jess hat beschlossen, das Baby zur Adoption freizugeben, doch Jack ist schließlich dagegen. Und so nimmt er seinen Sohn, nennt ihn Sokrates und verschwindet. Schon der Name des Sohnes lässt erahnen, wie es in Jacks Kopf zugeht.

Sein bester Freund Tommy kann es erst nicht glauben, unterstützt Jack dann aber in seinem wahnwitzigen Vorhaben.
Jess, die dem ganzen sehr skeptisch gegenüber steht, kann Jack auch nicht davon abbringen und wird so auch Teilhaberin des Roadtrips. 3 Jugendliche, die mit einem Baby durchs Land fahren. Auf der Flucht vor der Polizei. Auf dem Weg zu Jacks Großmutter - von der er hofft, dass sie einen klaren Moment hat und ihn wiedererkennt, damit er ihr ihren Urenkel vorstellen kann.

„Es ist mein Geburtstag, ich hätte fast versucht, mich wegen Facebook umzubringen, ich fahre mit einem entführten Baby namens Sokrates durch die Gegend, und alles, was mir in den Sinn kommt, ist die Frage, ob wir letztendlich durch Atomwaffen, durch eine Supernova oder vielleicht auch durch die Zerstörung unseres Planeten wegen des Baus einer neuen intergalaktischen Fernstraße ausgelöscht werden.“ (Seite 69)

Der Klappentext verrät schon, wie die Geschichte ausgeht und was im Buch passiert. Daher wird keinerlei Spannung erzeugt. Vielmehr ist hier der Weg das Ziel, im wahrsten Sinne des Wortes! Wir begleiten Jack, seinen Sohn und seine Freunde auf einem Roadtrip, der voller Philosophie steckt und sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt. Jack führt im Geiste immer wieder Dialoge mit seinem Baby und auch sich selber.
Häufig habe ich überlegt, wie ein 18jähriger nur solch schwerwiegenden Gedanken im Kopf haben kann, bei allem so in die Tiefe geht, und die jugendliche Unbeschwertheit vermissen lässt. Die ist aber wahrscheinlich über das Vorhaben, sich umzubringen, verloren gegangen.
Stellenweise schreibt Emil Ostrovski schon fast poetisch. Die Worte, die er benutzt, die Metaphern finde ich gut und für ein Debüt wirklich stark!
Leider aber konnte er mich damit nicht abholen - und so war ich leider kein Mitfahrer auf dem Roadtrip, sondern nur ein Zuschauer. Mir gelang es einfach nicht, eine eben solche tiefe Verbindung zu den Beteiligten aufzubauen, wie es dem philosophischen Ansatz dieses Buches gerecht geworden wäre. Schade.

„Wo ein bisschen Zeit ist…“ ist ein philosophischer Roadtrip von drei Jugendlichen und einem Baby, der den Leser über den Sinn des Lebens nachdenken lässt und an einigen Stellen mit Situationskomik aufwarten kann. Obwohl das Buch sich zügig lesen lässt, ist es alles andere als „leichte Kost“ und verlangt vom Leser, dass man sich voll und ganz auf die Geschichte einlassen kann. Wer das kann, wird mit schönen und starken Worten belohnt.

„>>Tom. Jack. Fließt bei euch Muttermilch?<<
Nicht als ich das letzte Mal kontrolliert habe. Das spreche ich aber nicht aus. Jess macht nicht wirklich Witze. Sie meint es ernst. […]

Wow. Jess macht genausoviel durch wie ich, wenn nicht noch mehr (zum Beispiel wäre sie fast ertrunken), und das Ganze schon seit neuen Monaten.
Und das wird mir jetzt erst klar.
Ich bin wirklich ein Trottel.“ (Seite 256/257)

3

SaCre

5 Antworten to “{Rezension} Wo ein bisschen Zeit ist… | Emil Ostrovski”

  1. hisandherbooks 28. August 2014 um 10:56 #

    Der Weg ist das Ziel:-)
    Ich fand auch, dass dieser etwas zu leicht ging - mit mehr Spannung wäre aber vermutlich die Aufnahme für die Decken und Co erschwert worden:-)

    So oder so sind wir aber einer Meinung - und das, obwohl du Erwartungen an das Buch hattest und ich absolut keine:-)

    Liebe Grüße

    Steffi

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    • bookwives 28. August 2014 um 18:43 #

      Das stimmt. Das Buch ist halt für Spannung nicht ausgelegt und der Schwerpunkt liegt auf der Philosophie.
      Manchmal sind wir beide ja schon unheimlich mit unserer übereinstimmenden Meinung.😀

      Liebste Grüße
      SaCre

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  2. 29. August 2014 um 10:22 #

    ..ich hab das Buch auch hier liegen, habe aber das Gefühl (besonders nah deiner Rezi) zu diesem Thema schon bessere Bücher gelesen zu haben.
    Naja,vielleicht greife ich doch noch mal dazu…

    LG
    Karin

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  3. Evy 25. Januar 2015 um 17:36 #

    Ich hab bei der Aktion von Litertwo mitgemacht und mir ging es ähnlich - es war mir zu schwer. Ich hab mich manchmal gefragt, was auf den Seiten eig. passiert ist😦 Hier ist meine Rezi:

    http://evyswunderkiste.blogspot.de/2014/11/wo-ein-bisschen-zeit-ist-von-emil.html

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