{Rezension} Mein Herz und andere schwarze Löcher | Jasmine Warga

23 Apr

Mein Herz und andere schwarze Löcher

Autor: Jasmine Warga
Titel: Mein Herz und andere schwarze Löcher
(OT: My heart and other black holes)
Seitenzahl: 384 Seiten
Verlag: Fischer Sauerländer
ISBN: 978-3-7373-5141-6
Veröffentlichung: 23. April 2015
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„Wenn du nur ein einziges Mal im Leben Glück hast - und das ausgerechnet bei der Planung deines Selbstmords, dann ist es wirklich an der Zeit, dich zu verabschieden.“ (Seite 22)

Aysel Seran ist 16 Jahre alt, türkischer Abstammung und lebt in der Kleinstadt Langston in Kentucky. Nach der Trennung der Eltern hat sie zunächst bei ihrem Vater gelebt, der sie liebevoll großgezogen hat und sie die Liebe zur klassischen Musik lehrte. Ihr Vater hat jedoch auch eine dunkle Seite und so kam es, dass er eines Tages einen Jugendlichen erschlug. Dieser Tag liegt rund drei Jahre vor den Geschehnissen in diesem Roman. Da der Vater nach der Tat inhaftiert wurde, lebt Aysel nun bei ihrer Mutter nebst deren neuem Ehemann und den zwei Halbgeschwistern. Die Geschehnisse um den Totschlag des Jugendlichen haben Aysel verstört und geprägt.
Sie fühlt sich isoliert und hat sich von allen Menschen zurückgezogen. In ihr regiert eine alles beherrschende Traurigkeit, die sie als ’schwarze Qualle‘ beschreibt, die alles an positiven Gefühlen sofort verschlingt. Außerdem hat sie Angst vor der Erkenntnis, ein ebensolches Monster zu sein, wie ihr Vater. Jeden Blick anderer Menschen interpretiert sie dahingehend, dass diese erkannt haben, was an Negativem in ihr steckt. Konsequenterweise kommt sie zu dem Schluss, dass die Welt ohne sie besser sei und entscheidet sich, sterben zu wollen. Da sie Sorge hat, im letzten Augenblick zu kneifen, meldet Aysel sich auf einer Internetseite an, auf der man Selbstmordpartner finden kann.
Sie findet Roman, 17 Jahre, aus einer Nachbarstadt. Roman hat ein Jahr zuvor seine Schwester verloren. Weil er an diesem Tag auf sie aufpassen sollte, fühlt er sich schuldig und möchte am 7. April, dem Todestag der Schwester, aus dem Leben scheiden. Roman und Aysel planen nun ihre gemeinsame Selbsttötung. Der Leser begleitet beide in den letzten rund 3 Wochen vor dem geplanten Termin.
In diesen Wochen geschieht es jedoch plötzlich, dass Aysel wieder Lebenswillen entwickelt. Nicht zuletzt, weil sie in Roman einen Menschen findet, bei dem sie sich zum ersten Mal alles von der Seele reden kann, geht es ihr zumindest in so weit besser, als dass sie den gemeinsamen Plan in Frage stellt. Sehr zum Mißfallen Romans, der nach wie vor an seinen Selbsttötungsplänen festhält.
Aysel steht nun vor der Herausforderung, für sich selbst zu entscheiden, ob sie weiterleben will und gleichzeitig Roman ihre Zweifel nicht merken zu lassen, denn das wäre das Ende ihrer Freundschaft.

Mein Fazit:

Der Titel des Buches hat mir ausgesprochen gut gefallen, denn er steht für zwei wesentliche Merkmale Aysels: Zum einen empfindet sie ihr Herz als schwarzes Loch, das alles (vor allem alles Positive) aufsaugt und zerstört. Zum anderen gibt es in all der Traurigkeit etwas, das Aysel wirklich interessiert und auch ein Stück weit glücklich macht: die Physik. Die Frage, was mit ihrer potentiellen Energie nach ihrem Tod passieren wird, zieht sich wie in Leitmotiv durch das Buch. Besser kann ein Titel kaum gewählt sein.
Der Roman selbst lässt sich flüssig lesen.
Er ist sehr gradlinig geschrieben und bewegt sich chronologisch auf das Ende am 7.April zu, wobei jede Kapitelüberschrift als Countdown die Tage bis zum gewählten Selbsttötungsdatum herunterzählt. Gut gelungen finde ich die Art, wie Aysels Irrationalität dem Leser vor Augen geführt wird. Es sind kleine Gesten oder Bemerkungen, die dem Leser zeigen, dass Aysels Wahrnehmung ihrer Umgebung verzerrt ist.
Im Verlaufe des Buches merkt man, dass Aysel vieles falsch interpretiert.
So hält Aysel ihre Halbschwester für distanziert und desinteressiert. Der Leser merkt jedoch schnell, dass Georgia versucht, eine Beziehung zu Aysel aufzubauen und sie aus dem Schneckenhaus zu locken und es vielmehr Aysel selbst ist, die ihre Schwester wegstößt. Die besorgten Blick ihrer Mutter versteht Aysel als Lauern darauf, dass sie ihre schlechten - vom Vater geerbten - Wesenszüge offenbart. Jedes Getuschel ihrer Mitschülter bezieht sie auf sich. Manchmal möchte man als Leser Aysel nehmen und einfach nur duchschütteln.
Und ich denke, genau darum geht es der Autorin. In ihrem Nachwort ruft sie dazu auf, ein Auge darauf zu haben, ob Mitmenschen depressiv sind und sich um diese zu kümmern.
Ich verstehe die Beschreibung von Aysel und ihrer häufig wenig nachvollziehbaren Einstellung dahingehend, dass die Autorin dem Leser zeigen will, dass manche Menschen Dinge anders betrachten. Menschen, die rational gesehen eigentlich glücklich sein könnten, sind es vielleicht nicht, weil sie Dinge subjektiv anders wahrnehmen oder bewerten.

Der Sinneswandel von Aysel vollzieht sich für mich etwas zu abrupt. Wer wirklich drei Jahre lang deprimiert und voller Todessehnsucht ist, wird nicht innerhalb von zwei Wochen ein neuer Mensch. Andererseits hätte das Buch vermutlich unnötige Längen gehabt, wenn man Aysels Verwandlung in allerkleinsten Schritten dargelegt hätte. Und am Ende des Buches versteht der Leser dann doch wieder, welch langer Weg vor den Menschen liegt, die von den Plänen der Selbsttötung zurücktreten wollen.

Insgesamt ist ‚Mein Herz und andere schwarze Löcher‘ ein gut zu lesendes Buch mit nachvollziehbar gezeichneten Protagonisten, das zum Nachdenken anregt.

 

Rana

Eine Antwort to “{Rezension} Mein Herz und andere schwarze Löcher | Jasmine Warga”

  1. buecherloewe 23. April 2015 um 17:09 #

    Danke für diese Buchvorstellung. Das ist wirklich ein wichtiges Thema und nicht nur für Betroffene eine schlime und schwierige Situation. Ich selber habe Gott sei Dank noch keine Depression erlitten aber in unserer Familie kam es leider schon vor. Man fühlt sich dann schon hilflos😦
    LG Moni

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